Elisabeth Debazi: Else Feldmann. Schreiben vom Rand. Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit (Böhlau, Wien 2021)

Datum/Zeit
​Di 19/11/2024
18:30–20:00

Ort
IWK

Typ
Vortrag

Else Feldmann (1884-1942), die als Kind mit ihrer Familie aus Ungarn zugezogen ist, befindet sich im Wien der letzten Jahre der Habsburgermonarchie, der Zwischenkriegszeit sowie dem beginnenden Austrofaschismus als Jüdin, Sozialistin und Frau in einer mehrfachen Zwischenposition. Diese wird durch die ärmlichen Verhältnisse, denen sie selbst entstammt noch verstärkt und schärft ihren Blick für soziale Ungerechtigkeiten und Missstände dieser Zeit.

Erste journalistische Erfahrungen sammelt sie im Umfeld der Frauenbewegung und findet in den 20er-Jahren unter anderem im Umfeld der sozialdemokratischen Arbeiter Zeitung eine bis zum Verbot der Zeitung in Folge des Februaraufstandes 1934 verlässliche Publikationsplattform für ihre Sozialreportagen über zeitaktuelle Themen wie die Volkskrankheiten Rachitis und Tuberkulose, die damit zusammenhängende Wohnungsnot sowie die prekären Lebensrealitäten von Kindern und Frauen in sozialen Randlagen.

Darüber hinaus verfasst Feldmann drei Romane sowie ein Theaterstück, Der Schrei, den niemand hört, das 1916 an der Wiener Volksbühne aufgeführt wird, und über das sich u. a. Arthur Schnitzler, wertschätzend äußert.

In ihren Romanen beschreibt sie: eine Kindheit in der Wiener Vorstadt vor Beginn des Ersten Weltkriegs (Löwenzahn), Ursachen und Auswirkungen von Prostitution anhand der Geschichte zweier ungleicher Schwerstern (Martha und Antonia) sowie die seelische Entwurzelung des Individuums in der Moderne (Der Leib der Mutter).

Nach Jahren zunehmender Repression im aufkommenden Austrofaschismus gerät Else Feldmann in starke wirtschaftliche wie private Bedrängnis und wird im Juni 1942 nach Sobibor deportiert und dort ermordet.

In vorliegendem Band wird das journalistische und literarische Schaffen dieser lange zu Unrecht vergessenen Autorin aus seiner in mehrfacher Hinsicht auszumachenden Rand- und Zwischenstellung in den Blick genommen und in historische und literaturgeschichtliche Kontexte, wie den der beginnenden Sozialreportage, des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit sowie der Rolle von Frauen im Literaturbetrieb der damaligen Zeit gestellt.

Ein besonderer Schwerpunkt ist dem Zusammenhang zwischen den von Feldmann eindrücklich beschriebenen räumlichen Gegebenheiten an den Rändern der Großstadt und den daraus resultierenden sozialen und innerpsychischen Problemen ihrer Bewohner gewidmet, der aus raumtheoretischer Sicht beleuchtet wird.

 

Elisabeth Debazi, geboren 1979, Studium der Deutschen Philologie in Wien und Klagenfurt, Promotion über die jüdische Journalistin und Schriftstellerin Else Feldmann. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem FWF-Projekt “Moderne Antimoderne: Literatur und Kultur der österreichischen Zwischenkriegszeit”. Tätig in der Erwachsenenbildung sowie als Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision in freier Praxis. Mutter von drei Kindern.

Weitere Buchpublikation: Zeugnis – Erinnerung – Verfremdung. Literarische Darstellung und Reflexion von Holocausterfahrung (2008)